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Gallereflux

Sehr verehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser,


Gallereflux bei Patienten mit Zwerchfellbruch und Reflux hat eine ganz besondere Bedeutung. Er wird als DGER bezeichnet, in englisch DuodenoGastroEsophageal Reflux. DGER beschreibt somit den Reflux aus dem Zwölffingerdarm in den Magen und vom Magen aus weit hoch in die Speiseröhre. Der DGER rückt immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Aber Studien zum DGER sind methodisch schwierig und die Ergebnisse nicht einfach zu interpretieren. Das für Sie Interessante werde ich Ihnen hier näherbringen, Sie brauchen aber etwas Geduld zum Lesen.

Kurz vorweg: Beim Menschen unterscheiden wir ganz unterschiedliche Kompartimente im Verdauungssystem mit unterschiedlichen chemischen und mechanischen Funktionen. Eine Station ist der Magen: Hier besteht ein extrem saures Milieu mit einem pH-Wert von 1-2 (!). Proteine der Nahrung werden dadurch sofort denaturiert, also in ihrer Struktur zerstört. Auf dieses Säurebad sind alle Verdauungsenzyme des Magen wie das Pepsin genau eingestellt und sie entfalten gerade in diesem Milieu ihre höchste Aktivität. Ist dieser Teil der Verdauung abgeschlossen und der Mageninhalt als ungefährlich befunden, dann öffnet sich der Magenpförtner und gibt den Nahrungsbrei in kleinen Portionen in den Zwölffingerdarm weiter.

Der Zwölffingerdarm ist eine weitere wichtige Station: Hier herrscht nun ein ganz anderes, genau entgegengesetztes Milieu. Im Zwölffingerdarm ist alles alkalisch, also mit einem pH-Wert von 8-8,5 (!). Denn die Vielzahl von Verdauungsenzymen einschließlich ihrer Vorstufen u.a. aus Bauchspeicheldrüse lieben den hohen pH-Wert, um effektiv die Nahrung aufspalten zu können. Und hier kommt auch die „Galle“ ins Spiel: Die sog. primären Gallensäuren werden von der Leber in konjugierter Form als Cholsäure und Chenodesoxycholäure breitgestellt, in der Gallenblase zwischengespeichert und bei Bedarf durch die Kontraktion der Gallenblase in den Zwölffingerdarm hineingespült.

Wichtig für Sie: Diese sog. „Säuren“ der Galle haben auch einen pH-Wert von 7,5-9! Das ist somit genau richtig, um hier im Zwölffingerdarm das alkalische Milieu für die effektive Enzymverdauung zu schaffen. Gleichzeitig können damit die mit dem Speisebrei eingeschleusten scharfen Säuren aus dem Magen neutralisiert und für das empfindsame Dünndarmgewebe entschärft werden.

Zwischen diesen so extrem gegensätzlichen Kompartimenten, Magen und Zwölffingerdarm, liegt allein der Magenpförtner. Er kontrolliert diese Schnittstelle und sorgt dafür, dass das empfindsame Gleichgewicht in beiden Räumen erhalten bleibt. So sollte beim Gesunden keine Galle in den Magen zurückfließen. Wir kennen das nur bei Patienten nach bestimmten Magenoperationen, einer Gallenblasenentfernung oder bei eingeschränkter peristaltischer Bewegung im Magendarmtrakt.

Nun ist aufgefallen, dass bei Patienten mit einer Refluxproblematik ausgesprochen häufig einen Gallereflux in den Magen zu beobachten ist. Es scheint sogar so zu sein, dass je schlimmer die Entzündung in der Speiseröhre bis hin zu Barrett ist, desto kräftiger ausgeprägt ist der Gallereflux vom Zwölffingerdarm in den Magen. Die Konzentration an Gallensäuren im Magensaft steigt. Dieser Befund bereitet Sorge, weil die Gallensäuren selbst erhebliche Zellschäden verursachen können (s.u.). Daher wird diskutiert, ob nicht eben diese Gallensäuren auch bei der Barrett-Bildung beteiligt sein könnten oder diese sogar verursachen. Denn bekannt ist, dass auch die C-Gastritis durch Gallensäuren ausgelöst werden kann. Und tatsächlich finden wir dies sehr häufig in der Magenspiegelung als Nebenbefund bei Refluxpatienten.

Da das Verschlusssystem nach oben bei diesen Patienten defekt ist, können die Gallensäuren sogar noch weiter aufsteigen. So gerät der DGER immer mehr in den Fokus bei krankhaften Veränderungen im laryngopharyngalen Bereich.

Aber wie kommt es aber überhaupt dazu, dass bei Refluxpatienten nun auch noch Gallensäuren aus dem Zwölffingerdarm hochlaufen? Reicht es denn nicht, wenn der Magen nach oben nicht richtig verschließt?

Für die Antwort versetzten Sie sich bitte in die Lage Ihres eigenen Körpers: Tag und Nacht bemerken Sie, wie die aufsteigende Säure des Magens die Speiseröhre „zerfrisst“, das Gewebe entzündet und quält. Aber was soll man machen? Den defekten Verschluss zur Speiseröhre kann der Körper nicht reparieren und die Säureproduktion läuft je nach Ernährung immer weiter auf Hochtouren. Wie können wir die notleidende Speiseröhre schützten?

Ihr Körper zeigt eine eindrucksvolle Reaktion: Er nutzt das alkalische Reservoir aus dem Zwölffingerdarm! Der Magenpförtner lässt je nach Schweregrad der Verätzungen immer mehr alkalische Gallensäuren zurück in den Magen fließen. Es kommt zum duodeno-gastralen Reflux. Dadurch gelingt es tatsächlich, die Magensäure zu neutralisieren. Messungen in Magen und Speiseröhre zeigen, dass sogar ein pH-Wert von 7(!) im Magen erreicht werden kann. Entsprechend findet man bei diesen Patienten auch das Auftreten von „alkalischen Refluxen“, worüber viele Patienten mit saurem Sodbrennen zu Recht erstaunt sind.

Gleichzeitig wird beobachtet, dass die PPI-Medikation bei diesen Patienten zur Reduktion der Gallekonzentration im Magensaft führt. Aber warum? Denn mit der eigentlichen Medikamentenwirkung von Säureblockern hat dies natürlich nichts zu tun?

Betrachten wir wieder das „System Mensch“: Die PPI-Medikation blockiert die Säurebildung im Magen. Durch diese Medikation kann Speiseröhre „aufatmen“, sie ist nun relativ gut geschützt! Eine unnatürliche Neutralisierung der Magensäure durch die alkalischen Gallensäuren aus dem Zwölffingerdarm ist nicht mehr erforderlich. Der Magenpförtner beginnt zunehmend den Übergang zum Zwölffingerdarm wieder regelhaft zu kontrollieren und den alkalischen Reflux zu unterbinden. Die Gallen-Konzentration im Magensaft nimmt wieder ab, wird aber möglicherweise nicht normal!

Leider ist aber der Einstrom der Gallensäuren beim DGER „Wohl und Wehe“ zugleich. Denn nun agieren die Gallensäuren im Magen in einem vollkommen anderen pH-Milieu! So wurde für verschiedene Untergruppen der Gallensäuren, insbesondere der sekundären Desoxycholsäure nachgewiesen, dass diese in saurer Umgebung eine hohe zellschädigende Potenz auf die Membranen von Ösophaguszellen entwickeln. Diese wird offenbar durch die Bildung von toxischen Sauerstoffradikalen in den Zellen ausgelöst. Diese wechselnden Eigenschaften unter dem Einfluss des pH, die Aktivierung unterschiedlicher Zellrezeptoren und viele andere Fragen sind noch längst nicht erforscht.


Bis dahin gilt für Sie als Patient: Der DGER ist assoziiert mit der gastro-ösophagealen Refluxkrankheit. Der DGER ist als kritisch zu bewerten. Gerade bei schweren chronischen Entzündungen oder gar Barrett-Veränderungen gilt es, diese Doppelbelastung des Gewebes unbedingt zu verhindern. Die regelmäßige Einnahme von PPI erscheint geeignet, diesen Gallereflux zumindest „reaktiv“ zu mildern. Antioxidantien in der Ernährung sind möglicherweise unterstützend. Der andere Weg ist eindeutig: Die anatomisch regelrechte operative Wiederherstellung des komplizierten Verschlusssystems zwischen Magen und Speiseröhre. Denn dann ist endlich die Notlage des Körpers behoben, alle Säuren und Enzyme unseres Verdauungssystems verbleiben dort wo sie hingehören und die Erkrankung ist überwunden.


Mit dieser Sichtweise auf das „System Mensch“ hoffe ich, Ihnen ein Gefühl für die faszinierenden Reaktionsweisen unseres Körpers bei auftretenden Dysfunktionen gegeben zu haben.

Ihr

Dr. med. Eckhard Löhde



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